Spielfeld – Niemandsland der Willkür

Spielfeld, 1.11.2015, (c) Christoph Glanzl

Spielfeld, 1.11.2015, (c) Christopher Glanzl

Die Ankunft in Spielfeld wirkt surreal: Österreichfahnen von circa 400 Pegida-Österreich Anhängern und Anhängern der Identitären wehen uns entgegen, während in Sprechchören „Wir sind das Volk“ und „Festung Europa, macht die Grenzen dicht“ gerufen wird.

Rund 20 Polizisten begleiten den faschistischen Aufmarsch auf der gesperrten Straße in Richtung der slowenisch – österreichischen Grenze. Die 15 antifaschistischen Gegendemonstranten werden zur selben Zeit von etwa 30 Polizisten ein paar Meter vor einem Kreisverkehr, an dem die Demonstration vorbei geht, eingekesselt. Irgendjemand spielt auf einem Saxofon die österreichische Bundeshymne, aus dem Tankstellenbeisl schallt „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens.

Durchkommen, um helfen zu dürfen
Wir kommen zu fünft mit dem Auto an und wollen zur TWO, zur The Welcome Organisation gelangen, die in ihrer Suppenküche für die Ankommenden 24 Stunden täglich warmes Essen zubereitet. Der erste Exekutivbeamte versucht uns mit scharfen Worten weg zu scheuchen und will uns nicht durchlassen, da wir nicht auf seiner „offiziellen Liste“ stehen.

Wir sehen uns gezwungen das Auto einige Kilometer weg abzustellen und umgehen zu zweit die Absperrung – durch das Gestrüpp und über die Bahngleise – da wir nicht mehr warten wollen. Nach mehreren Telefonaten werden dann endlich auch die anderen drei HelferInnen von der Exekutive hineingelassen.

Am Grenzübergang angekommen brauchen wir etwas Zeit um uns zu orientieren: überall stehen Zäune, Absperrungen, Gitter, etliche Einsatzkräfte von Polizei und Bundesheer riegeln das Gebiet großräumig ab. Hinter dem ersten Zaun, noch auf slowenischer Seite, warten ca. 400 Menschen, dicht an die Gitterstäbe gedrängt, darauf auf die österreichische Seite kommen zu dürfen.

Vor ihnen steht ein Panzer, aus dessen Lautsprechern „Don’t Push!“ über das ganze Areal gerufen wird. Vier Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma, die normalerweise als Türsteher in Nachtclubs arbeiten, übersetzen auf Arabisch. Einer von ihnen erzählt mir, dass sie versuchen, die Kinder und die Alten aus der Masse nach vorne zu holen.

Staatlich produzierte Massenpanik
Immer wieder müssen sie auch Leute, die im Gedränge kollabieren, aus der Menge rausziehen. Ein Anderer erzählt mir, dass gestern auf der slowenischen Seite eine Frau ihr Kind tot geboren hat, dass er denkt, es sei wegen der vielen Tritte, die man als Flüchtling im Laufe der Zeit immer wieder abbekommt.

Der enge Korridor, den die Exekutive geschaffen hat, führte im Laufe der letzten Tage immer wieder zu Panik bei den Schutzsuchenden, vor allem dann, wenn auf slowenischer Seite eine größere Menschenmasse durchgelassen wird und sich so immer wieder ein Rückstau von mehr als 1000 Leuten an dieser Stelle bildet.

Warmes Essen dank Freiwilligenhilfe
Ich brauche drei Leute, die Kartoffeln schneiden. Schnell, jetzt kommen viele!„, ruft der Koch aus der Welcome Kitchen.

Freiwillige HelferInnen kochen rund um Uhr, um den Ankommenden, die seit Stunden auf ein Weiterkommen warten, eine heiße Mahlzeit anbieten zu können. Die Temperaturen können in der Nacht bereits unter Null Grad fallen. Der heiße Linseneintopf bringt das verschnupfte Mädchen vor mir dazu zu lächeln, der geschwächte alte Mann hinter ihr sagt drei mal „Thank you!„.

Das BMI sagt, dass hier Tee, Bananen und Brot reichen müssen. Das ist zuwenig. Viele Menschen haben seit Tage nichts warmes gegessen„, sagt der Küchenchef, der müde aber entschlossen die gespendeten Kartoffelsäcke stapelt.

Sind die Refugees endlich auf österreichischer Seite angekommen, heißt es wieder anstellen: für Essen, für einen Schlafplatz in den drei bereitgestellten Zelt, die wie ein leere Bierzelt auf Asphalt wirken.

Erinnerungen an Röszke
Wenn keine Busse mehr fahren, müssen sie dort am Boden schlafen, Feldbetten gibt es keine. Oder sie schlafen in den vollkommen verdreckten kleineren „Ruhezelten“, die gleich neben den Dixi Klos stehen. Diese sind gerade mit einem Hochdruckreiniger „gereinigt“ worden, da sie jedoch etwas höher als die Zelte stehen, rinnt das Wasser, vermischt mit Resten von Fäkalien die durch die Hochdruckreinigung mit geschwemmt werden, in Richtung der Zelte. Es erinnert an ein verdrecktes Festivalgelände nur mit dem Unterschied, dass die Menschen hier nicht entscheiden können, wann sie genug von der Musik haben und gehen.

Einige Polizisten tragen Schutzmasken um sich vor dem Gestank zu schützen, einer von ihnen fordert mich auf, sofort mit dem Filmen aufzuhören. Wir fühlen uns wie in einem Gefängnis, besonders dann, als ich Isaa aus Pakistan sage, dass er leider keine Zigaretten kaufen gehen kann, auch wenn die Tankstelle in Sichtweite ist.

Ich versuche seit Stunden für Ahmed aus Syrien seinen Freund in Österreich zu erreichen. Er will ihn fragen wo er hinfahren soll, weil er nicht weiß, wie es weitergeht. Mittlerweile haben sich vier Leute in den Hotspot eingeloggt, den ich mit meinem Mobiltelefon temporär zur Verfügung stellen kann. Immer mehr Leute fragen mich nach WLAN, um ihre Familien kontaktieren zu können.

Alle fragen mich, wohin die Busse fahren, aber auch ich kann das nicht herausfinden. Das Einzige was ich sehe ist, dass hinter dem Zelt in kleinen, mit Gittern abgetrennten rechteckigen Bereichen die Menschen seit Stunden am kalten Asphalt in Decken eingehüllt sitzen und warten, damit sie eine Weiterfahrt bekommen. Endlich sagt mir ein Übersetzer, dass die Busse nach Graz und an die Deutsche Grenze fahren, aber sie wissen nicht genau, wie lange noch.

Viele der Refugees versuchen auch in das Zelt des Roten Kreuzes zu kommen, aber vergeblich, da die Polizei sie wieder wegschickt. Wenn ich sie zu den Beamten begleite und erkläre was sie brauchen, geht es doch und sie bekommen Schmerzmittel und Wundsalben.

Ein freiwilliger Helfer sagt mir, dass er eine Eskalation der Lage befürchtet, wenn das Wetter umschlägt und es zu regnen beginnt.

Heimreise
Gegen drei Uhr nachts treten wir die Heimreise an. Zwei unserer neuen syrischen Freunde wollen mit uns nach Wien kommen, um von dort aus in der Früh den Zug nach Norwegen zu nehmen. Wir werden von einem Soldaten des Bundesheeres aufgehalten und darauf hingewiesen, dass das ohne Genehmigung der Polizei nicht erlaubt ist. Das Wort Schlepperei fällt.

Ich finde einen Polizeibeamten, der mich begleitet und schließlich seinem Kollegen sagt, dass es spät sei und keine Busse mehr fahren: „Wir machen eine Ausnahme„.

Wir sind ihm unendlich dankbar für diese menschliche Entscheidung, da wir den ganzen Tages das Gefühl hatten, dass das Motto hier „Kontrolle vor Hilfe“ lautet.

Unsere Forderungen:

★ Wir fordern mehr Zelte und Busse in Spielfeld bevor das Wetter umschlägt und es zu einer humanitären Katastrophe kommt

★ Wir fordern den Einsatz der Bundesheer-Küche

★ Wir fordern die Entschärfung des Durchgangskorridors

★ Wir fordern freie Wege über die Grenze

★ Wir wollen keinen Zaun in Spielfeld

★ Wir wollen freie Grenzen und Willkommenskultur

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7 Kommentare

  1. Staudinger
    Am 2. November 2015 um 19:40 Uhr veröffentlicht | Permalink

    Es freut mich, dass es immer wieder freiwillige gibt, die die Flüchtlinge unterstützen.

  2. Christiane
    Am 2. November 2015 um 23:25 Uhr veröffentlicht | Permalink

    Danke für Euren Einsatz, Eure Taten und diesen Text! Wir, die Mehrheit, sind mit Euch dort. Zum ersten Mal bin ich angesichts dieses Engagements stolz auf uns Österreicher.

  3. Lilli-Billi
    Am 4. November 2015 um 13:39 Uhr veröffentlicht | Permalink

    Die Flüchtlingshelfer leisten dem Land einen Bärendienst. Je besser die Migranten versorgt werden, desto mehr werden kommen. Und nachdem mehrere Milliarden (!)Menschen unter der Armutsgrenze leben, könnt ihr euch selbst ausrechnen, dass der Ansturm wohl kaum abnehmen wird. Im Gegenteil. Da wünsche ich dann beim Versorgen viel Glück. Die paar Österreicher, die jetzt noch Freiwilligenarbeit leisten, werden dem Ansturm sicherlich nicht gewachsen sein. Was dann?

    • Am 4. November 2015 um 13:54 Uhr veröffentlicht | Permalink

      Liebe Lilli-Billi,

      das ist alles durch die Bank falsch. Die MigrantInnen sind durch Terror, Krieg und Bürgerkrieg vertriebene und keine Armen, die unter der Armutsgrenze lebten (wo auch immer du die ansetzt). Der Großteil ist überdurchschnittlich gebildet und qualifiziert. Sie flüchten, weil sie dazu gezwungen werden.

      Zweitens haben die Fluchthilfe, die uns unsere verfassungsmäßig festgeschriebenen Menschenrechte vorschreiben würde, und die Aufnahme von Asylansuchenden keinen negativen wirtschaftlichen Einfluss sondern wenn, dann einen positiven.

      Drittens ja, der Fluchtgründe verschwinden leider nicht, an den Kriegen verdienen unsere Volkswirtschaften sogar auch mit. Es werden nicht weniger Menschen auf Grund von Vertreibung unterwegs sein. Abschotten, die Augen vor dieser Realität verschließen und weiter die eigenen Interessen in den Kriegsgebieten verfolgen, das alles kann nicht gut gehen und bringt weder kurz- noch mittel- noch langfristig irgendwas.

      Viertens spielt es keine Rolle, ob und wie wir die Vertriebenen willkommen heißen. Sie kommen sowieso. Sie haben keine andere Wahl. Und sie haben umgekehrt aber das Recht.

      Fünftens sind es nicht ein paar, die Freiwilligenarbeit leisten, sondern viele. Ich würde sagen mehr, als jene Rechten, die die tragische Situation für ihre Propaganda und Lügen nutzen.

      Liebe Grüße in die Schweiz und Danke für dein Interesse an unseren Verhältnissen hier.

  4. Aufwecker
    Am 4. November 2015 um 13:54 Uhr veröffentlicht | Permalink

    Ich komme nicht aus rechtsradikalen Kreisen, aber ich kenne niemanden, wirklich niemanden, der nach dieser Invasion noch ja zu den Flüchtlingen sagt! Im Gegenteil! Viele meiner Bekannten haben mittlerweile radikale Töne angeschlagen, sind für eine sofortige Grenzschliessung und die Ausweisung sämtlicher Migranten, standen dem ganzen Flüchtlingsstrom jedoch anfänglich neutral gegenüber. Also, nichts mit der schweigenden Mehrheit, die den Migrantenstrom in Ordnung finden.

    • Am 4. November 2015 um 13:59 Uhr veröffentlicht | Permalink

      Tja, dann kennst du vielleicht die falschen Leute. Deine Sprache hat ja auch schon eine erkleckliche Anzahl der üblichen Begriffe rechtsradikaler Propaganda übernommen. Wir empfehlen einfach, such dir etwas menschenfreundlichere Bekanntenkreise mit etwas mehr Horizont.

      Komm mal aus der Schweiz nach Österreich, um irgendwo mitzuhelfen, am einem der Bahnhöfe in Wien, in Traiskirchen oder Spielfeld. Da wirst du sicher andere Menschen kennen und schätzen lernen.

      Sehen wir uns beim Protest gegen den Neonaziaufmarsch in Spielfeld am Wochenende?

  5. Elfi Meyer
    Am 4. November 2015 um 19:28 Uhr veröffentlicht | Permalink

    Es ist so unfassbar. Ich frag mich wirklich, wer kann das einmal verantworten. Abgesehen von all dem Irrsinn, warum lässt man nicht wenigstens die „Freiwilligen“ helfen, das ist doch unmenschlich, dass es schlimmer gar nicht geht.

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  • Die schweigende Mehrheit sagt JA

    JA zur Solidarität mit Menschen in Not!
    JA zu einem Dach überm Kopf für ALLE!
    JA zu einer menschenwürdigen Behandlung von Flüchtlingen!